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Transkript der ersten Sendung

Für alle die unseren podcast nicht hören können und für alle die die Inhalte auch geschrieben haben wollen hier unser erstes Transkript.

Grußworte, Kontaktmöglichkeiten

Hallo hier bei Frequenz (A) deinem neuen Podcast mit scharfsinniger Berichterstattung
Ich bin Anna
ich bin Arthur
und ich bin Luca
und wir moderieren die erste Ausgabe. Heute starten wir mit einem Spezial zur anarchistischen Bewegung in Italien: Wir haben ein Interview mit Gefährt_innen die einen Antirepressions-Fond betreuen geführt ein Interview mit dem von Repression betroffenen Culmine Blog für euch ausgegraben – und aktualisiert. Zudem fassen wir für euch die Situation rund um die no TAV Proteste, die Proteste gegen den geplanten Schnellzug in Val Susa zusammen.
Eingebettet ist das Ganze in unsere festen Rubriken: Neues, Infos zu kämpfenden Gefangenen und Ankündigungen. Diese natürlich am Ende der Sendung.
Dranbleiben lohnt also.
Wir freuen uns derbe wenn ihr uns erzählt was ihr an der Sendung mögt und was euch so richtig geärgert hatund sind dafür immer gern erreichbar unter: frequenz_a@riseup.net. Verschlüsselt eure E-Mails wenn ihr könnt, den Key findet ihr auf unserem Blog – ebenso wie weiterführende Links und ein Transkript der Sendung.

Konzept

Frequenz (A) haben wir auf der Basis gestartet, dass wir uns alle ein Leben jenseits der herrschenden Verhältnisse jenseits der Knastgesellschaft ein freies Leben wünschen. Frequenz (A) begreift sich als Medienprojekt, welches über aktuelle Konflikte und Themen aus einer antiautoritären beziehungsweise anarchistischen Perspektive berichtet. Dabei steht für uns nicht im Fokus, dass die Dinge die wir beleuchten explizit anarchistisch sind oder einem bestimmten Szenekodex entsprechen.

Es geht uns darum eine Auseinandersetzung mit Themen anzuregen, welche einen gewissen Rahmen verlässt und in der wir in der Lage sind unsere sicherlich im Kollektiv oftmals unterschiedlichen Meinungen zum Ausdruck zu bringen. Wir wollen die Dinge aus unserer Perspektive hinterfragen, kritisieren, vorstellen, zur Diskussion stellen…

Wir haben vor euch nicht nur den podcast zur Verfügung zu stellen sondern wollen darüber hinaus versuchen eine Papierausgabe von Frequenz (A) zu haben. Hier sollen die angesprochenen Themen vertieft werden aber vor allem sollen auch Gefangene die Möglichkeit haben sich in der Auseinandersetzung um aktuelle Themen zu beteiligen. Allgemein wünschen wir uns einen regen Austausch mit unseren Zuhörer_innen und hoffen, dass uns viele Anregungen und so weiter von euch erreichen.

Auf folgendem Weg könnt ihr uns erreichen:
Es gibt ein Postfach: Frequenz_A c/o Schwarzmarkt, Kleiner Schäferkamp 46, 20357 Hamburg
natürlich per e-mail: frequenz_a@riseup.net
oder ihr schaut auf unseren blog (frequenza.noblogs.org) auf dem ihr auch den podcast sowie weiterführende links zu aktuellen Themen finden könnt.

Bei der Themenauswahl wollen wir versuchen uns von der lokalen Ebene, aus den Städten in denen wir leben zu lösen und von den Auseinandersetzungen weltweit zu berichten – so weit sie bei uns ankommen.

Los gehts mit unserer ersten Rubrik: den Nachrichten

Nachrichten

  • Parallel zu den 1. Mai Demonstrationen wurde 2014 in Hamburg ein Refugee Welcome Center eröffnet. Auch wenn dieses schon am selben Tag vorerst wieder schließen musste hat es die Forderung nach einem Bleiberecht für Alle! wieder auf die Tagesordnung gesetzt.
    Seit dem 1. Mai gab es zahlreiche kleinere Aktionen vor dem ehemaligen Refugee Welcome Center im Karoviertel in Hamburg und auch die Gruppe Lampedusa in Hamburg lässt wieder öfter von sich hören.
    Ende Mai beteiligten sich ahlreiche Aktivist_innen an der Demo der Gruppe unter dem Motto
    “Wie lange? Nicht mehr lange! Hört auf uns umzubringen. Wir sind nicht hier um zu sterben, wir fordern unser Recht jetzt.”
    mit dem die Gruppe ihr Bleiberecht und ihr Recht auf Arbeit einforderte.Sicher wird sich hier in den nächsten Wochen noch vieles tun – informiert euch: auf unserem Blog findet ihr die Links zu den genannten Gruppen. Unterstützt die Kämpfe der Refugees! In Hamburg und bei euch vor Ort.
  • Am 19. Mai gelang es zwei Gefangenen aus der JVA Moabit zu fliehen. Sie sägten die Gitter ihrer Zellenfenster durch, seilten sich mithilfe von Bettlaken und Handtüchern ab und schafften es durch den Stacheldraht. Bis heute fehlt jede Spur von ihnen. Wir sagen Respekt für diese sportliche Leistung und Gratulation zum ersten erfolgreichen Ausbruch seit 15 Jahren – auf dass sie euch nie kriegen!
  • Am 12. Juni 2014 fängt die WM in Brasilien an aber keine_r hat Bock drauf. Am 28. Mai protestieren Teile der indigenen Bevölkerung gegen die WM und erinnern mit anderen Landlosen an ihre Situation. Sie werden von berittener Militärpolizei mit Knüppeln und Tränengas angegriffen. Dies ist nur ein Beispiel für den Protest auf den Straßen der sich seit einem Jahr in Brasilien zuspitzt. Angefangen mit der Fahrpreiserhöhung im öffentlichen Nahverkehr im Juni 2013 protestieren Menschen gegen die Regierung die Milliarden für neue Stadien ausgibt während es den Menschen immer schlechter geht. Aus Angst vor Aufständen werden so auch Favelas von der Militärpolizei besetzt und zum Teil geräumt. Es folgen Riots überall in Brasilien. Im April gibt es weitere Proteste nachdem ein Mensch aus den Favelas von der Polizei zu Tode gefoltert wird. Im Laufe der Ausschreitungen kommt es zu weiteren Toten und vielen Verletzten. Jetzt kurz vor WM-Start gibt es täglich Ausschreitungen zweichen Demonstrant_innen und Polizei beziehungsweise Militärpolizei. Wir werden auch in der nächsten Sendung weiter über die Proteste gegen die WM berichten bis dahin schließen wir uns den Demonstrant_innen an und sagen „Fifa go home“.

Hauptteil//Situation in Italien

Jetzt kommen wir zum Hauptteil dieser Ausgabe, der sich um die Situation in Italien drehen wird. Als erstes hört ihr ein Interview mit Gefährt_innen aus Italien über den Solifond Aragnide und die Repression gegen Anarchist_innen.

Wie ist die politische Situation in Italien? Wie ist die Lage in der Gesellschaft und wo steht die anarchistische Bewegung?

Ich denke die Situation heute ist komisch denn wir haben eine Menge wütender Leute, eine Menge Leute ohne Arbeit oder anderes aber wir haben wenig Auseinandersetzung in der Gesellschaft. Dennoch geht der Staat sehr stark gegen alles vor was sich bewegt, die Bewegung und alles darum herum. Vielleicht haben sie Angst vor der Möglichkeit dass die Wut explodiert. Die Bewegung in Italien legt ihren Fokus im Moment auf verschiedene Punkte: Viele Leute sind zum Beispiel in Kämpfen in Turin aktiv, in der Hausbesetzer_innenszene und im Kampf der Menschen ohne Papiere. Andere unterstützen die Kämpfe in Val de Susa gegen den TAV und andere Gefährt_innen sind in der Unterstützung anarchistischer Gefangener aktiv.

Ist die Bewegung in den letzten Jahren gewachsen oder geht es eher Bergab?

Ich denke nicht dass es bergab geht, aber im Moment denken viele Gefährt_innen darüber nach was wir tun können denn in Italien sind viele Leute wütend auf die Regierung, die Banken und teilen viele Dinge die Anarchist_innen schon immer sagen. Aber dennoch haben wir keine große Auseinandersetzung, keine starke Bewegung. So sind viele Leute auf der Suche nach einer Antwort warum dies so ist. Es gibt verschiedene Ideen was Anarchist_innen hier tun können.

Ich denke andere Anarchist_innen sind auch im den Auseinandersetzungen gegen Biotechnologie und in der Tierbefreiungsszene aktiv. Denn in Italien haben wir eine lange Geschichte mit der Tierbefreiungssbewegung „Animal Liberation“ nicht mit der Tierrechtsbewegung. Ich denke, dass die anarchistische Bewegung die Tierbefreiungsbewegung beeinflusst denn wir haben eine lange gemeinsame Geschichte. Ich denke das ist zum Beispiel in Österreich anders wo es auch eine rechte Bewegung für Tierrechte gibt. Ich denke das ist wichtig.

Ihr hattet die Unterstützung von Gefangenen erwähnt. Könnt ihr uns etwas über die Repression der letzten Zeit erzählen?

In den letzten drei Jahren hat die Polizei in Italien viel gegen die Bewegung getan. Sie haben es meist auf eine so genannte Kriminelle oder terroristische Vereinigung gestützt und ihren Artikel im Gesetz der besagt dass die Polizei keine Beweise über irgendwen oder irgendwas finden muss sondern einfach sagen können: Okay, du bist Anarchist_in, du bist für direkte Aktion und darum bist du Teil irgendeiner Gruppe. Und sogar wenn dieses Konstrukt in der Regel am Ende nicht funktioniert benutzen sie es oft um die Menschen einzuschüchtern und um Situationen zu stoppen in denen die Auseinandersetzung beginnt, Situationen die zu heiß für sie sind.

Wo es Repression gibt, gibt es auch Solidarität. In der BRD kennen viele die Rote Hilfe, eine sehr deutsche Sache als Verein organisiert und mit entsprechenden Hierarchien. Habt ihr ähnliche Strukturen?

Nein, wir haben keine große Organisation. Es gibt kleine Gruppen, ich denke sechs oder sieben kleine Gruppen. Sie geben Solidarität auf die Art die sie für jeweils richtig halten. Zum Beispiel kümmern sich manche nur um Anarchist_innen, nicht weil sie denken dass nur Anarchist_innen Solidarität brauchen sondern weil sie nicht so viel Zeit haben für alle Anderen. Andere unterstützen politische Gefangene im allgemeinen, Anarchist_innen, Kommunist_innen und so weiter und wieder andere kümmern sich um die gewöhnlichen Gefangenen. Wir haben das nicht so durchorganisiert. Vielleicht ist das manchmal ein Problem aber ich denke es funktioniert, denn jede der kleinen Gruppen kann tun was sie tun will und die unterstützen die sie will.

Ich denke über Repression und Solidarität gibt es viel zu sagen. Zum Beispiel zum Fall der anarchistischen Gefangenen Sergio und Alexandro. Sie haben einen Hungerstreik gemacht im Knast, denn ihnen wurde vorgeworfen die Chefs einer bestimmten Zelle zu sein nur weil sie anderen Gefangenen wie Marco Camenisch geschrieben haben.

Eine andere wichtige Sache ist, dass in Val de Susa eines Nachts irgendwer die Baustelle mit Molotow-Cocktails angegriffen hat und einige der Geräte dort ausgebrannt sind und in der Folge dessen ein Anarchist verhaftet wurde. Das erste Mal wurde hier eine Anklage nach „popular Struggle of terrorism“ erhoben – nicht weil Molotow-Cocktails benutzt wurden, sondern weil hier die Ansage an den Staat gemacht wurde, dass TAV nicht in Val de Susa gebaut wird. Und für dieses Statement wurde die Terror-Anklage erhoben.

Lass uns nochmal ein kleines Stück zurück gehen und versuchen die Rote Hilfe in der BRD mit der Solidaritätsarbeit in Italien zu vergleichen. Unterstützt ihr zum Beispiel auch Leute die „nur“ mit Repression wie Geldstrafen oder Prozessen überzogen werden oder ist es nur für Menschen im Knast. In der BRD werden zum Beispiel auch Menschen mit Prozessen unterstützt und z.B. Geld für die Anwält_innen gegeben oder für die Strafen.

Ich denke dass es keine speziellen Regeln gibt, es ist mehr oder weniger so dass die anarchistische Bewegung nicht an den Staat zahlen wird. Wenn sie sagen du sollst eine Entschädigung an einen Cop zahlen weil du ihm in die Fresse gehauen hast wird dir niemand Geld geben um es an sie_ihn weiterzugeben, aber wenn du eine_n Anwält_in brauchst um dich selbst zu verteidigen werden dir Leute Geld dafür geben. Oder sie werden dir Geld geben um im Knast zu überleben, denn dafür brauchst du eine Menge Geld.


Zum Beispiel haben wir keine Unterstützer_innengruppe im American-Style die Gruppen für einzelne Personen haben. Ich denke es ist wichtig die Menschen im Knast zu unterstützen, denn wer draußen ist kann eine Benefiz-Veranstaltung für sich selbst machen. Die Menschen im Knast können das nicht, denn sie sind ja im Knast. Menschen können das erst machen wenn sie wieder raus sind – um die Bewegung weiter zu unterstützen. Sie helfen zum Beispiel bei einem Essen oder einer Show.

Wie entscheidet ihr? Redet ihr einfach darüber wer das Geld im Moment am meisten braucht? Oder sprecht ihr euch mit anderen Gruppen ab?

Wir versuchen uns zu vernetzen, was manchmal schwierig ist. Die einzelnen Gruppen schreiben Communices im Internet, so dass man etwas sehen kann wer wen unterstützt.

Es ist alles sehr informell. Wenn du die Situation kennst kannst du auch anders helfen, nicht nur mit Geld, auch mit der Auseinandersetzung auf der Straße. Es gibt nicht wirklich eine Struktur oder Regeln dass du dies oder das tun musst. Die Menschen die etwas unterstützen wollen tun was sie wollen, nicht nur mit Geld. Wenn zum Beispiel eine Kasse Geld sammelt, oder den Kontakt zu den Gefangenen hat.

Wir schreiben den Gefangenen und fragen sie ob sie Geld für Anwält_innen brauchen oder ob sie dies von einer anderen Kasse bekommen, andere Kassen kümmern sich um vegane Gefangene und findet heraus welches Essen man hineinschicken kann und welches nicht. Alle helfen dort wo sie sich am besten auskennen.

Eine andere wichtige Sache ist die Strategie der Repression in Italien. Sie haben damit begonnen die kämpfenden Gefangenen von den so genannten normalen Gefangenen zu separieren, jeweils einzeln die anarchistischen Gefangenen, verschiedene Arten von kommunistischen Gefangenen und andere Gefangene. Die Strategie ist dass die Anarchist_innen nicht mit so genannten normalen Gefangenen in Kontakt kommen und nicht mit ihnen über ihre Gefühle und Bedürfnisse sprechen können und nicht über die Handlungsmöglichkeiten im Knast. Das ist eine Sache die dafür sorgt dass die Anarchist_innen nun mehr oder weniger alleine im Knast sind. Eine Abteilung des Knastes ist z.B. nur für Alfredo, Nicola, Adriano, Nicolo und Mathia. Also nur einige Menschen. Wenn sie irgendetwas tun wollen kann die Knast-Polizei einfach die ganze Abteilung schließen.

Sie können nicht an der Explosion der Wut der normalen Gefangenen teilnehmen. Wir haben eine Geschichte der Beteiligung von politischen Gefangenen in den Knastkämpfen der Vergangenheit, darum versuchen sie die Gefangenen zu vereinzeln.

Die politischen Gefangenen haben oft gemeinsam mit den so genannten normalen Gefangenen gekämpft und revoltiert. Nun wollen sie die Kommunikation zwischen ihnen verhinden.

In dieser Sektion ist kein Gemeinschaftsraum, kein Gymnastikraum und sie haben nur vier Stunden um andere zu treffen. Im Monat.

Es scheint so zu sein dass sie außerhalb des Knastes eine ähnliche Strategie verfolgen und versuchen die Leute zu vereinzeln und zu verängstigen damit sie nicht miteinander sprechen und diskutieren und der Rest der Gesellschaft Angst hat mit Anarchist_innen in Kontakt zu geraten. Es scheint mir eine ähnliche Strategie innen und außen zu sein.

Ja, ich denke das versuchen sie. Die Strategie klappt manchmal und manchmal nicht. Ich hoffe, nun ja vielen Leuten geht es mies und sie beginnen zu sehen wie die Polizei und die Politiker_innen wirklich sind. Zum Beispiel in Val de Susa waren viele Leute die dachten Anarchist_innen sind Terrorist_innen und nun hauen sie sich gemeinsam mit den Anarchist_innen mit der Polizei. Die Strategie funktioniert also nicht immer, aber ich denke dass es gut für die Bewegung war zu beginnen diese Strategie zu stoppen.

Gibt es Diskussion unter verschiedenen anarchistischen Gruppen über die Strategie des Staates und die Repression und darüber wie man dagegen vorgehen kann oder geht jede Gruppe alleine mit der Repression um?

Es gibt viel Diskussion, aber nicht die eine Diskussion in der anarchistischen Bewegung. Es gibt viele Diskussionen in den verschiedenen Kämpfen und die Anarchist_innen die diese Kämpfe unterstützen diskutieren was passiert und was zu tun ist. Im Moment gibt es keine umfassende Diskussion von allen die sich Anarchist_innen nennen gemeinsam.

Vielleicht sollten wir ein wenig von der Repression weg gehen. Hier in der BRD haben wir viele Texte aus Italien, Bücher, Flügblätter und so weiter und sie scheinen sehr populär in der insurektionalistischen Bewegung zu sein. Was denkt ihr darüber, wird das bei euch überhaupt gelesen?

Wir haben viele gute Bücher und Texte zu diesem Thema. Ich denke viele davon sind in der Vergangenheit geschrieben und sprechen von einer Situation die sich bis heute stark verändert hat. Ich denke wir haben kein Paradigma oder Schema aber wir müssen darüber nachdenken, nicht von der Ideologie aus aber von der Situation in der wir uns befinden. Ich denke dass insurektionalistischer Anarchismus eine Ideologie geworden ist nach dem Motto du musst dies und das tun – es sollte mehr Aufmerksamkeit und Perspektive auf die Realität gelegt werden, das kann man nicht in Flugblättern lesen. Ich denke es geht mehr darum was du hier denkst und tust und weniger darum was du von Gruppen aus anderen Teilen der Welt liest.

Vielen Dank

Zum Interview: Das Interview wurde von uns auf Englisch geführt und dann von uns übersetzt, leicht gekürzt und neu eingesprochen. Wir konnten im Rahmen des Interviews die Themen nur kurz anschneiden, werden in Zukunft aber sicher häufiger über die Situation in Italien berichten und versuchen detailierter auf einzelne Themen einzugehen.
Einige weitere Punkte die wir im Zusammenhang mit der Repression gegen Anarchist_innen in Italien spannend finden findet ihr als O-Ton auf unserem Blog.

Als nächstes wollen wir nocheinmal ein Thema aufgreifen, das im eben gehörten Interview schon benannt wurde, der Kampf gegen den Hochgeschwindigkeitszug TAV und den Widerstand im Val di Susa. Uns ist es wichtig darauf nocheinmal näher einzugehen, weil wir finden, dass No TAV europaweit eines der eindrucksvollsten Beispiele für spektrenübergreifenden Widerstand der letzten Jahre darstellt.

No TAV

„Wir sind alle hier, um uns in die Schlacht zu werfen, die von den Frauen und Männern des Val Susa begonnen wurde, gegen das Projekt eines Hochgeschwindigkeitszuges. Es ist ein Kampf, der den Horizont dieser Berge überstieg, um Praxis und „Erbe“ von Revoltierenden ganz Europas zu werden. Es ist auch unser Kampf – Heute.“

Bereits 1984 spricht die Europäische Gemeinschaft über den Bau einer internationalen Hochgeschwindigkeitsverbindung. In den nächsten Jahren konkretisieren sich die Pläne eines europäischen Bahnnetzes und führen schließlich 1991 zur Gründung der französisch-italienischen TAV Spa. Die Schnellbahntrasse (Treno Alta Velocita kurz TAV) soll unter anderem durch das Susa Tal, einem Landstrich in den italienischen Alpen nahe der französischen Grenze führen. Durch den Bau würde das ohnehin schon von der Autobahn angegriffene Ökosystem endgültig zerstört. Nicht zuletzt wegen der großen Mengen an Asbest und Uran, die im Boden des Tals lagern und durch den Bau in das Grundwasser und an die Oberfläche gelangen würden.
Solange wie die Idee existiert auch der Widerstand dagegen. Es gründen sich Kommitees der Menschen die im Susa Tal leben und positionieren sich zum Großteil gegen das Projekt. Im Jahr 1996 gibt es erste Sabotagen und Angriffe auf die Baustelle, zu denen sich teils die Gruppe „Lupi Grigi“ bekennt, teils auch anonym bleiben. Am 29. Januar 1998 bricht eine Gruppe in das Rathaus von Capri, einer kleinen Stadt im Tal, ein, stiehlt wichtige Dokumente und legt einen Brand, der das gesamte Gebäude zerstört. Am 5. März werden drei Anarchist_innen festgenommen: Sole, Baleno und Silvano wird vorgeworfen als terroristische Vereinigung Angriffe gegen den Zug gemeinsam geplant und durchgeführt zu haben. Edoardo Massari, genannt Baleno, wird am 28. März 1998 erhängt in seiner Zelle aufgefunden, Maria „Sole“ Rosas tritt zunächst in den Hungerstreik und erhängt sich im Juni desselben Jahres. In Solidarität folgen schwere Krawalle in Turin und weitere Aktionen im Susa Tal.
Als 2001 das TAV Projekt offiziell von Frankreich und Italien beschlossen wird, kommt es zu einer Großdemonstration in Turin, während im Susa Tal zum Generalstreik aufgerufen wird. Zwei Jahre später werden die ersten Baupläne veröffentlicht und wieder demonstrieren 20.000 Menschen auf den Straßen, die Bewohner_innen des Tals lassen die Techniker der Bahngesellschaft nicht auf ihr Land. In den nächsten Jahren wird die Baustelle, sowie die ersten Bohrversuche immer wieder blockiert und es gründet sich die „Assemblea permanente“, eine Versammlung, die alle am Kampf gegen das TAV Projekt Beteiligten zusammenbringt.
Um schneller voranzukommen beschließt die italienische Regierung die Enteignungen der betroffenen Landstriche- diese scheitern jedoch am Widerstand aller und werden durch Blockaden von bis zu 50.000 Menschen verhindert. Im Jahr 2011, ein Jahr nach dem die ersten Bohrmaschinen ihre Arbeit begonnen haben, gründet sich die „Freie Republik Maddalena“, ein selbstorganisiertes Dorf, in dem Aktionen und Veranstaltungen stattfinden. Maddalena wird nach einem Monat geräumt, aber der Kampf darum geht weiter. Um die militärische Besatzung zu rechtfertigen, wird das Susa Tal 2012 von der Regierung zum „Ort strategischer Bedeutung“ erklärt, woraufhin am 26. Januar eine polizeiliche Aktion gegen 40 Menschen stattfindet, von denen 26 festgenommen werden. Seit dem laufen Terrorismusverfahren gegen die Anarchisten Chiara, Claudio, Mattia und Niccolò. Davide und Paolo sitzen ebenfalls im Knast, weil in ihrem Auto „verdächtiges Material“ gefunden wurde.

An dieser Stelle eine Einschätzung einer Broschüre, die 2012 im Zusammenhang mit einer Info- und Soliveranstaltung in Berlin herausgegeben wurde:
Der Kampf gegen den TAV ist ein selbstorganisierter Widerstand der sich entwickelt hat: Diskussionen um Entscheidungsstrukturen und inhaltliche Differenzen wie beispielsweise die Gewaltfrage, sowie das wachsende Vertrauen zwischen den Bewohner_innen und Menschen von Außerhalb sind Dinge, die Zeit brauchen und auch in Zukunft wichtig sein werden. Während zum Beispiel zu Beginn noch viele an die Zusammenarbeit mit Parteien und den Medien glaubten, gibt es jetzt hauptsächlich selbstorganisierte Zusammenhänge, die sich klar gegen die Regierung stellen. Das Ergebnis ist ein jahrelanger Widerstand, der es in seiner Unberechenbarkeit immer wieder schaffte, die Ordnungskräfte zurück zu drängen und so der Welt gezeigt hat, was alles möglich ist.

„Während wir nach Hause zurückkehren, in die Städte, aus denen wir kamen, tragen wir in uns das Bewusstsein, dass sich etwas am verändern ist – dass wir es sind, die es verändern lassen, in diesem Moment.“

„Auf dass sich die Revolte aus dem Val Susa verbreitet. Die jeweiligen Motivationen sind zahlreich, doch die Spannung die einen jeden von uns antreibt, ist die selbe.
Auf dass in ganz Europa das Feuer auflodert, das in unserem Innern brennt und das uns hierher gebracht hat. Auf dass von der alten Welt nichts als Asche bleibt. Und Im Feuer die Liebe.
Für die Freiheit!“

(Auszug aus dem Flugblatt „Gegen diesen Zug“, das am 8. September auf Informa-Azione geposted wurde)

Weiter gehts mit einem Interview, das wir von den Companeras von Aversion übernommen haben. Aversion ist eine anarchistische Zeitung aus Spanien. Das Interview wurde 2013 mit den Gefährt_innen Stefano und Elisa geführt, die für das verfassen des Culmine Blogs im Gefängnis saßen und angeklagt sind.

Culmine

Ich spreche die Fragen der Aversión

und ich werde die Antworten von Culmine einsprechen

AVERSIÓN: In den letzten Jahren, aus Gründen die jenseits dieser Analyse liegen und die eher mit der aktuellen Ausrichtung des Systems zu tun haben, die aber offensichtlich unsere Verhaltensweisen betreffen, sind Blog und Webseiten entstanden, die die Aufgaben übernommen haben, die bis jetzt von unseren Zeitschriften wahrgenommen wurden. Inwiefern denkt ihr hat das die Kämpfe und ihre Wahrnehmung beeinflusst?

CULMINE: Wir sind fest überzeugt, dass wir im Anarchismus eine neue Periode erleben. Die Blogs und Webseiten erlauben die schnelle Verbreitung von Erklärungen, Texten und Ausarbeitungen in alle Teile des Planeten, und erlauben den Austausch von Ideen und Vorschlägen unter GenossInnen, die wahrscheinlich nie die Möglichkeit haben werden sich körperlich zu begegnen. Es handelt sich um eine regelrechte Revolution in den Beziehungen unter AnarchistInnen. Wir sind uns der Limiten dieser neuen Verhaltensweise durchaus bewusst, sowohl weil die Gefahren die man eingeht sehr hoch sind, wie mit „Culmine“ geschehen, der sich jedenfalls nicht zur Anonymität entschieden hat. Der anarchistische Blog „Culmine“ wurde am 13. Juni 2012 auch wegen seiner Gegeninfoarbeit eingekerkert. Der Diskurs über die Kämpfe und ihre Wahrnehmung ist eher komplex. Man muss von der Tatsache ausgehen, dass heutzutage -2013 alle Bewegungen Internet benutzen: politische, ökologische, kulturelle und sogar antitechnologische (dieses Paradoxon würde eine vertiefte Behandlung verdienen, aber nicht hier). Auch innerhalb des Anarchismus haben praktisch alle Gruppen jeglicher Tendenz mit dem Netz zu tun, doch kürzlich kam es, mit bösen Folgen, zur krassen Verbreitung der sozialen Netzwerke wie Twitter und Facebook. Jedenfalls waren wir nie der Meinung, die Gegeninfoblogs sollten die papiernen Publikationen ersetzen.

A: Es scheint, dass zurzeit das Internet etliche Aspekte unserer Existenz umfasst und die zwischenmenschlichen Beziehungen radikal beeinflusst und enorm zur Isolierung, zur Atomisierung und Entfremdung beiträgt. Meint ihr nicht auch, dass es im anarchistischen Milieu an kritischen Positionen zu diesem Instrument mangelt?

C: Klar, Internet ist stark in den Existenzen von uns allen präsent, AnarchistInnen mit eingeschlossen, wir brauchen dieses Instrument im Alltag auch zum reisen oder lesen einer Tageszeitung. Es gibt keine Positionen einer starken und harten Kritik und Ablehnung dieser Technologie. Aber wir glauben, dass es mit einigen kritischen Analysen und der Ablehnung des Netzes durch ein von elitärem Snobismus geprägtes Verhalten der Wenigen, die alles geschnallt haben, auch nicht getan ist. Auch wir finden das Problem bzw. die Gefahr dringlich, dass wir uns immer mehr abisolieren und jeden Aspekt des Kampfes virtualisieren, auch die zwischenmenschliche Auseinandersetzung, aber gleichzeitig hören nicht auf uns vorzustellen, welche Potenzialität eine Verbreitung unserer ikonologischen Ideen und Praktiken in allen Winkeln des Planeten hat. Was eher fehlt, ist eine gehörige Reflektion über die Gestaltung unserer Existenz ohne jegliche Virtualität. Es geht schlussendlich um das Dilemma der Antizivilisation, das noch zu stark im aktuellen Modell unserer Gesellschaft verankert ist. Dazu hat „Culmine“ mehrmals seine Wertschätzung dieser Thematik unter Beweis gestellt, einen eigenen Reflektionstext jedoch auf unbestimmte Zeit vertagt. Wir setzen voraus, dass es aktuell sehr schwierig ist, sowas schnell und gemeinsam auszuarbeiten, aber schliessen nicht aus, dass wir es bald tun werden.

A: Ganz konkret, „Culmine“ ist der erste bekannte Fall einer Repression gegen einen anarchistischen Gegeninfo-Blog. Wieso das, was meint ihr? Warum „Culmine“ und nicht andere Blogs und Seiten?

C: Erstens geht es bei der Repression gegen „Culmine“ um die italienische Antiterrorismusgesetzgebung als Erbe der Sondergesetze, die in den sog. „bleiernen Jahren“ eingesetzt wurden. Man muss klarstellen, dass wir von „Culmine“ nicht nur wegen der Übertretung von Informations oder Apologiegesetzen angeklagt sind, sondern auch der Planung, Finanzierung und materiellen Ausführung der Sprengstoffattentate. Warum „Culmine“ und nicht andere Blogs? Weil, unserer Meinung nach, „Culmine“ in all den Jahren seines Bestehens sich charakterisierte indem es keine der aus der ganzen Welt kommenden Aktionsbekennungen je zensierte und auch den vielen anarchistischen Gefangenen eine Stimme gab. Wobei wir nicht alleine sind, wir haben die Entstehung vieler anderer Blogs und Webseiten erlebt, mit denen wir Reflektionen und Erfahrungen geteilt haben. Die Einkerkerung von „Culmine“ ist ein wüstes Signal der Repression da es ein Szenarium ist, das sich auch für andere ähnliche Erfahrungen auf der Gegeninfoebene wiederholen kann. Vielsagend ist, z.B., dass gemäss Anklage unsere Uneinsicht nach der Durchsuchung vom 29. März 2012 (als Ansage einer verstärkten Repression) belegt worden sei, indem wir danach unverzüglich eine Erklärung verteilt hätten und die anderen Blogs über den Vorfall und den Angriff gegen „Culmine“ aufzuklären.

A: Eine latente Frage zu diesem Thema ist die Zeit. Internet zwingt dich zur konstanten Aktualisierung und das Ganze läuft in einem Tempo ab, das die menschlichen Fähigkeiten bei weitem übertrifft. Welchen Sinn hat es in Echtzeit zu wissen, was auf dem ganzen Planeten geschieht? Unsere Fähigkeit zum Eingriff in die uns am nächsten stehende Wirklichkeit ist an sich schon äusserst begrenzt. Bis zu welchem Punkt kann das denselben Beschleunigungswahn verursachen, mit dem sich z.B. die technologischen Apparate oder die Moden verändern, die plötzlich ihren Wert verlieren oder bedeutungslos werden?

C: Das Problem der andauernden Aktualisierung und Tatsache ist, dass ein nicht regelmässig aktualisierter Blog nicht mehr besucht wird. Wichtig ist, dass die BetreiberInnen eines Blog das eingehende Material intelligent und sorgfältig selektionieren und gewissen Posts mehr oder weniger Raum und Gewicht geben. Klar, wir können gewiss überleben (und natürlich weiterkämpfen und Gegeninfo machen) ohne zu wissen, was in Echtzeit auf der anderen Seite der Welt geschieht. Aber die Idee ist und bleibt, dass der Austausch an Infos und Erfahrungen, wie es in den letzten Jahren der Fall war, für die anderen Realitäten eine Anregung sein kann. Es gibt jedoch eine Grenze die man nicht überschreiten darf, sonst verfällt man der Virtualität des Kampfes und der totalen Virtualität der zwischenmenschlichen Beziehungen. Daher meinen wir, dass die Mobilisierungen über Twitter z.B. wegen der extremen Schnelligkeit und Zurückverfolgbarkeit keinerlei Reflexion ermöglichen, obwohl es nunmehr bei Kundgebungen am häufigsten eingesetzt wird und sogar die SMS überflügelt hat.

A: Eine neue Konzipierung des stark vom Netz beeinflussten Anarchismus der Aktion ist klar ersichtlich. Es gibt Diskurse und Verhaltensweisen, die, obwohl man nicht alle als „schädlich“ bezeichnen kann, doch auch Dynamiken hervorrufen die an schlecht umgesetzte Nachahmungen und andere an reine „Spielchen im Netz“ erinnern.

C: In den letzten Jahren ist ein neues Verständnis, eine neue Art und Weise des Erlebens des Anarchismus aufgekommen; es ist eine derart neue Erscheinung, dass sie unmöglich einzuordnen ist und Definitionen können in dieser Phase irreführend sein. Doch eine der üblichsten Bezeichnungen ist „Anarchismus der Aktion“: unserer Meinung nach kann man nicht sagen, dass das Netz die neue Konzipierung beeinflusst habe, sondern eher dass es deren Tragweite, die verschiedene Differenzierungen und gemeinsamen Nenner schneller verbreitet hat. Was an sich keine Neuigkeit ist; schon in der Vergangenheit gab es Perioden, in denen der Anarchismus der Aktion seine Stimme durch Attentate, Exekutionen, Sabotagen und sogar Geiselnahmen erhob. Neu gegenüber der Vergangenheit ist nur die Verbreitung der Aktionserklärungen in Echtzeit an allen Orten des Planeten und in der möglichen Einsicht durch andere Individuen und Gruppen der Aktion mit denselben Zielen. Auch in diesem Fall geht es um schon gesehene Phänomene: das eklatanteste Beispiel, aber es gibt viele andere, ist die internationale Kampagne für Sacco und Vanzetti. In verschiedenen teilen des Planeten warteten Individuen und Gruppen auf Neuigkeiten aus dem nordamerikanischen Todestrakt: damals war das Kommunikationsmittel der Telegraph, heute ist es Internet. Natürlich gibt es mit dieser neuen Herangehensweise viele Probleme, die es zu lösen gilt. Nur zu wahr ist, dass es viel oberflächliche Analysen gibt und aus dem Nichts Gestalten auftauchen, die einem anarchistischen Werdegang völlig fremd (und entsprechend vorsichtig zu geniessen) sind. Auch nicht unterschätzt werden dürfen die Sprachschwierigkeiten, sei es wegen schlechten oder oberflächlichen Übersetzungen (immer mehr auch mit automatischen Übersetzungsprogrammen, die unserer Ansicht nach nur notfallmässig eingesetzt werden sollten), sei es wegen schlecht assimilierten Begriffen. Ein Beispiel könnte uns hier helfen: im Anarchismus der Aktion spricht man oft von der Stadtguerilla und von bewaffnetem Kampf. Aktuell haben wir keine Instrumente dessen, was z.B. in Griechenland abläuft und sicher bestehen weder in Italien noch in verschiedenen anderen Ländern die Voraussetzungen um von Stadtguerilla und bewaffneten Kampf zu sprechen. Auch über den Begriff Nihilismus gibt es ein grosses Durcheinander (bis zu dem Punkt, dass einige PseudonihilistInnen soweit gegangen sind, jegliche Ethik zu verneinen und sogar Schandtat Tür und Tor zu öffnen) und ähnliche Zweideutigkeiten kommen auch über den Begriff des anarchistischen Antijuristismus auf! Solche Fragwürdigkeiten effektiv zu unsympathischen „Spielchen im Netz“ degenerieren, denen „Culmine“ jedenfalls nie Raum gewährt hat.

A: Viele von uns sind im Anarchismus durch Debatten, Briefe an Gefangene, Broschüren, Umgang in anarchistischen Bibliotheken, Beiträge an Zeitschriften auf der anderen Seite des Planeten, Gespräche mit alten Saboteuren und Guerillas, etc. gewachsen…aber die Bildung findet heute grösstenteils durch Blogs oder soziale Netzwerke statt. Was meint ihr dazu?

C: Dass die heutige „Bildung“ grösstenteils über Internet läuft, ist unbestreitbar aber es ist sicher auch eine Frage der Generation (jede historisch-soziale Periode nutzt die bestehenden Mittel). Wir von „Culmine“ kamen auf die Betreibung eines Blog nach einem Weg in der italienischen anarchistischen Bewegung, der lange vor dem Aufkommen des Netzes begonnen hat. Was wir uns heute zutrauen zu sagen ist, dass wer zu einer sich als revolutionär begreifenden Bewegung gehört, jederzeit die Fähigkeit zur vielleicht auch gewalttätigen Wechselwirkung mit der eigenen sozialen Umgebung haben muss. Auf einmal auf Internet und alle anderen technologischen Mittel zu verzichten, ist absolut undenkbar (wenn in einer antizivilisatorischen Optik auch ideal). Jene die sich mit Gegeninfo beschäftigen sind die, die ihre besten Energien aufbieten müssen damit die Blogs und Webseiten Artikel, Bücher, vertiefte und sorgfältige Abhandlungen anbieten können; vorerst gibt es keinen anderen Weg. Ganz anders ist der Diskurs über die nicht unmittelbaren Perspektiven. Man kann sich fragen wie es zu dieser Lage gekommen ist, aber diese Analyse, die gebührend selbstkritisch sein muss, umfasst die letzten Jahrzehnte des weltweiten Anarchismus. Und wir denken, dass die Reflektion auf dieser Ebene auf andere Themen ausgeweitet werden muss, über das der technologischen Abhängigkeit hinaus: welcher Anarchismus? Insurrektionalismus oder Individualismus? Anarchistischer Antijuristismus und bis zu welchem Grad ist man antijuristisch? Sozial oder antisozial?

A: Diese Interview versucht wie ein in die Luft geworfener Stein zu sein, mit dem Zweck eine Debatte ins Leben zu rufen. Wollt ihr noch etwas anfügen?

C: Uns ist es wichtig zu kommunizieren, dass was mit „Culmine“ geschehen ist, nicht etwa von einer unvorsichtigen Handhabung unsererseits irgendeiner Netzwerk-Anonymisierung verursacht wurde. Unser Blog war öffentlich, im Sinne dass wir unsere Identität nie versteckt haben und sogar an verschiedenen öffentlichen anarchistischen Debatten und Initiativen teilgenommen haben. Unsere Vorstellung ist, dass die Individuen, die anarchistische Blogs betreiben, umso mehr wenn sie sich mit Aktionserklärungen und Texten von Gefangenen beschäftigen, in der Bewegung bekannt sein müssen: Fehler macht man viele, man muss imstande sein, sie einzuräumen. Mehr als einmal sind wir, z.B., über falsche Erklärungen gestolpert, die von Fabulierungssüchtigen oder den Bullen kamen und das ist ein sehr hohes Risiko für die, die sich mit einem Blog beschäftigen. Auch in diesem Falle ist die in jahrelangen Kämpfen gesammelte Erfahrung hilfreich zur richtigen Einschätzung der Echtheit der Texte, mit denen man es zu tun hat. Uns war immer wichtig die Quelle unserer Posts anzugeben und auch die ÜbersetzerInnen, die uns von Fall zu Fall halfen, aber das gehört für uns zu einem korrekten und nicht oberflächlichen modus operandi, der genauso für papierne Publikationen gilt. Trotz der Repression, trotz den langen Monaten Untersuchungshaft in Hochsicherheitstrakten verleugnen wir die von „Culmine“ in diesen Jahren geleistete Arbeit nicht und wünschen, dass andere Blog mit Gegeninfo weitermachen können. Gleichfalls sind wir an einer kritischen und konstruktiven Reflexion innerhalb der internationalen anarchistischen Bewegung mehr als interessiert.

Weitere Informationen zum Interview

Nach diesem wie wir finden inhaltlich spannenden Beitrag, wollen wir gerne zu einem Punkt der im Intreview genannt wurde in einigen Sätzen etwas Hintergrundinformation einschieben. Bei der in Frage 3. benannten Repression von der auch der Blog Culmine betroffen war handelt es sich um die sogenannte “Operation Ardire”. Sie nahm Ihren Anfang am 13 Juni 2012 und umfasste ausser den beiden Menschen, die unter anderem für den Blog verantwortlich gemacht werden weitere 22 Personen. Sechs davon kamen aus Griechenland, sechs weitere aus Italien und zwei saßen für 23 und 29 Jahre in unterschiedlichen Ländern im Knast als das Verfahren eröffnet wurde. Die italienischen Betroffenen (alle anderen Involvierten saßen sowiso schon im Knast) saßen bis zu 19 Monate in Untersuchungshaft und waren nach ihrer Entlassung strengen Auflagen unterworfen. Das heißt, sie durften Ihre Heimatstadt nicht verlassen, und mussten sich zwei mal die Woche auf der Polizeiwache melden. Seit dem 8 April diesen Jahres wurden diese Repressalien eingestellt. Doch die Ermittlungen unter dem Antiterrorparagraphen laufen für mindestens fünf Angeklagte weiter und wurden auf zwei Staatsanwaltschaften (Mailand und Perugia) aufgeteilt.
Also haltet Euch auf dem Laufenden!
Weiterführende Links findet Ihr auf unserem Blog oder in der hoffentlich bald erscheinenden Papierausgabe von Frequenz A.

 

Abmoderation: Stand heute

Musik

Das wars erstmal mit unserem Schwerpunkt zu Italien. Jetzt kommen wir zu einem weiteren festen Bestandteil unserer Sendung: der Gefangenen Rubrik.

Gefangene

In unserer Gefangenenrubrik, welche ja wie am Anfang erwähnt einen festen Bestanteil unseres Podcasts einehmen wird, wollen wir Euch über Kämpfe von Gefangenen, Gefangenenbiographien, Entwicklungen im Knastsystem, Post von Gefangenen und andere Gefangene betreffende Themen berichten.
Auch in dieser Rubrik kommen wir dieses Mal noch einmal auf unser Hauptthema zurück und stellen Euch daher vier Gefangene vor, die seit dem 9 Dezember 2013 in Turin (Italien) in U-Haft sitzen. Chiara Zenobi, Niccolò Blasi, Claudio Alberto und Mattia Zanotti.
Die vier werden beschuldigt am 3ten Mai 2013 einen “Sabotageakt” gegen den Hochgeschwindigkeitszug “TAV” verübt zu haben. Das Ganze soll sich auf der Baustelle Chiomonte im Susa Tal zugetragen haben. Dei Mitstreiter_innen sind aus dem Knast herraus weiterhin aktiv und mischen sich über Communices in aktuell laufende Debatten ein. Und das obwohl sie sich leider teilweise in Isolationshaft befinden.
Sie haben in diesen Tagen (also im Juni 2014) Ihren Prozess und dummer weise ist aufgrund der harten Anklagen bei einer Verurteilung ein relativ hohes Strafmaß zu erwarten. Vorgeworfen wird Ihnen: „Angriff mit terroristischen Zielen, ausgeführt mit mit tödlichen und explosiven Mitteln, Besitz von Kriegswaffen und Sachbeschädigung.“ So klingt das also wenn der Staat aus auf eine Baustelle geworfenen Molotovcocktails eine vernichtende Anklage bastelt.
Haltet Euch über den Prozess auf dem Laufenden!
Lassen wir die Gefangenen nicht alleine!
Ihr findet die Adressen unter denen Ihr Ihnen schreiben könnt auf unserem Blog.
Für eine Weld die keine Knäste braucht!

Zuletzt wie demnächst immer Ankündigungen und Veranstaltungshinweise:

  • Der damals 16-jährige Kurde Halim Dener wurde in der Nacht vom 30. Juni 1994 in Hannover beim Plakatieren von PKK-Plakaten durch einen Polizisten erschossen.

    Halim flüchtete unter falschem Namen vor Krieg und Verfolgung, um seine Familie nicht zu gefährden. Als minderjähriger, unbegleiteter Flüchtling kam er in die BRD.

    Auch in der BRD führte Halim seine politische Arbeit fort. Wenige Wochen nach seiner Flucht klebte er in Hannover Plakate mit dem Emblem der ERNK, des (damaligen) politischen Arms der PKK. Dabei wurde Halim in der Nacht vom 30.Juni 1994 von SEK-Polizisten in Zivil überrascht und ihm wurde bei der Festnahme aus kürzester Entfernung in den Rücken geschossen. An dieser Schussverletzung starb Halim wenig später. Der Polizist wurde von seinen Kolleg_innen gedeckt und zum Ende eines dreijährigen Prozess freigesprochen.

    Um an den Mord an Halim Dener zu erinnern ruft die Kampagne Halim Dener zu einer Demonstration mit der Feststellung “Halims Geschichte und Tod sind kein Einzelfall!” auf.

    Kommt alle am 21 Juni nach Hannover zur bundesweiten Demonstration.

  • Unter dem Titel „In Griechenlands Knästen brodelt’s“ findet am Sonntag den 22.6.2014 um 18 Uhr in der Hafenvokue, Hafenstraße 116 in Hamburg eine Veranstaltung statt. Als Ankündigung ist folgernder Text zu finden: Eine Mitstreiterin aus Griechenland wird über den derzeitigen Gefangenenwiderstand gegen eine Reform zur Verschärfung des Knast- und Strafsystems berichten. Am 24. März 2014 gaben Gefangene aus ganz Griechenland eine Mobilisierung bekannt, um gegen die immer strenger werdenden Haftbedingungen zu protestieren. Sie forderten, dass der gesetzentwurf der Regierung über die Hochsicherheitsgefängnisse zurückgezogen wird. Gemäß diesen Entwurfs würden Gefangene in drei Kategorien ja nach „Gefährlichkeit“ eingeordnet werden. Alle kämpfenden Gefangenen würden somit in einem Knast im Knast verharren, ohne Aussicht auf Lockerung.
    Wer die letzten Jahre die unterschiedlichen Revolten drinnen und draußen in Griechenland verfolgt hat, weiß, dass dieser Gesetzentwurf eine erneute Reaktion vom Staat darstellt, um widerständige Individuen und Zusammenschlüsse zu spalten, voneinander zu isolieren und die Verbreitung von herrschaftsfeindlichen Ideen und Aktionen zu erschweren. Also Sonntag 22.6.2014 in der Hafenvokue, Hafenstraße 166 in Hamburg, Die Veranstaltung ist rauchfrei um möglichst vielen Menschen die Teilnahme zu ermöglichen.

Das war die erste Sendung von Frequenz A, wir hoffen, es war das eine oder andere spannende Thema für euch dabei. Wie gesagt, wir freuen uns über Feedback und sind für Kritik und Anregungen offen. Die nächste Sendung wird es in vier bis sechs Wochen geben. Dort geht es unter anderem um die Proteste gegen die WM in Brasilien. Checkt unseren Blog und bis zum nächsten Mal!